Der Pass Nara
(Nur für die Bewunderer von Campiroi !)
Die Lage der ersten Siedlungen in der Antike (Dalpe, 5. Jh. v. Chr. und Madrano, 3. Jh. v. Chr.) deutet auf das Vorhandensein von Wegen, zwischen den Terrassen und Bergkämmen hin, welche vor allem den Bedürfnissen der lokalen Wirtschaft dienten (Transhumanz zu den Almen und Wiesen). In der Römerzeit entwickelte sich ein reger Handel zwischen der Leventina, den angrenzenden Tälern und den römischen Gebieten. Harz, Pech, Harzholz, Wachs, Käse und Honig wurden in den Süden exportiert. Dies obwohl die bevorzugten Routen der Lombardei in den Norden, der San Bernardino-Pass (Val Mesolcina), der Lukmanier-Pass (Val Blenio) und der Settimo-Pass (in Graubünden zwischen Bivio und Casaccia im Bergell) waren. Der Gotthard war zwar der kürzeste Übergang, stellte aber sowohl auf der Nordseite mit der Schöllenenschlucht der Reuss, als auch auf der Südseite mit den drei vom Ticino eingeschnittenen Schluchten der Leventina (Biaschina, Piottino und Stalvedro) wichtige Hindernisse dar. Bis zum Jahr 1000 verlief die Strasse mit grosser Wahrscheinlichkeit auf der rechten Talseite (Biasca-Giornico-Chironico-Prato), dann wurde sie in die Talsohle verlegt. Die Schluchten im Leventinatal wurden jedoch immer von oben umgangen, je nach Schlucht auf der rechten oder linken Talseite.
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurde zuerst ein Steg über die Schöllenen gebaut, wahrscheinlich von den Walsern, und dann die erste Brücke (Teufelsbrücke) über die Reuss, welche den Verkehr über den Gotthard belebte. Die Route durch das Leventinatal in Richtung Gotthard wurde damals als "strata francisca" oder "strata francescha" bezeichnet. Als der Saumpfad an Bedeutung gewann, organisierten die Bauern der Leventina ihre eigenen Saumpfad-Zünfte. Die Nachbaschaftsverband (Degagna) von Chiggiogna (siehe "Geschichte und Archäologie") zum Beispiel war für den Warentransport zwischen Faido und Giornico zuständig. Der Händler zahlte eine Steuer an den Kutscher (Somiere) und eine Mautgebühr (forletto / Furleite), die für die Instandhaltung des Saumpfades verwendet wurde. Ausserdem zahlte der Händler bei jeder Ankunft an der nächsten "Haltestelle" eine Gebühr für die Lagerung der Ware. Die Haltestellen in der Leventina befanden sich in Biasca, Giornico, Faido, Prato und am Gotthard. Es waren Orte, wo Pferde und Maultiere gewechselt wurden.
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Die Bassa di Nara (Nara Pass, 2129 m)
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Entlang des rechten und linken Tessiner Ufers gab es Saumpfade, die Dörfer, Wiesen und Alpen miteinander verbanden. Vor allem der Saumpfad Biasca - Prugiasco - Bassa di Nara - Molare - Campello - Osco - Madrano/Airolo (Strada del Nara) erlangte aus verschiedenen Gründen eine gewisse Bedeutung für den Verkehr und die Bewegungen.​
Aus geografischer Sicht stellte der Transit durch die Leventina-Schluchten eine grosse Herausforderung dar, zumindest bis zum 16. Jahrhundert, als die Urner Obrigkeit anschliessend wichtige Strassenausbauten vornahm. Diese Schwierigkeiten wurden durch die Biaschina-Ebene am Zusammenfluss von Brenno (Val Blenio) und Ticino (Val Leventina) noch verschärft. Dies da dieses Gebiet zu jener Zeit ein wasserreiches Gebiet gewesen sein muss und dessen Überquerung durch das wahrscheinliche Fehlen einer Brücke erschwert wurde. Wie auf der Karte (Strasse Nr. 5) zu sehen ist, bot die Nara-Strasse also eine gute Alternative, um die Hindernisse in der Leventina zu umgehen.
Dies war auch der Weg, welchen Bernardino Tarugi im Juni 1584 im Dienste des heiligen Karl Borromäus als Apostolischer Visitator (siehe "Die Borromeos in Calonico") wegen Unwetter und Wasserschäden, nach Altdorf im Kanton Uri nahm.
"Mit Gottes Gnade sind wir abends in Altdorf angekommen, nachdem wir so viel schlechtes Wetter gehabt hatten, wie man nur sagen kann, denn am Sonntagabend, als wir in Biasca übernachteten, hat der Fluss Tesino in der Nacht die Brücke so weit weggerissen, dass wir über den Berg Bregno oberhalb von Prusiasca gehen mussten, ein sehr mühsamer Weg in der Tat und es war notwendig, es zu tun, fast alle zu Fuß und mit Müdigkeit trieben wir die Pferde, wo wir einen Tag zu erreichen Faitto und von dort nach Aerolo einen weiteren Tag für die Ruinen, die von den Bergen gefallen sind.... ".
Aus Sicht der politischen Organisation des Tals, der Nabachschaftsverband (Degagna) von Prugiasco (siehe Karte), gehörte zur Leventina und genauer gesagt zur Nachbarschaft (Vicinanza) von Chiggiogna (siehe "Geschichte und Archäologie"), deren Gebiet sich vom Bergrücken bis zum Talboden im Bleniotal erstreckte. Es ist nicht bekannt, wann Prugiasco Teil des Leventinatals wurde, aber man nimmt an, dass es zur Zeit der administrativen Trennung der Täler zwischen dem Ende des 12. und dem Beginn des 13. Jahrhunderts war (Prugiasco gehörte ab 1798 dem Bleniotal). Die Nara-Strasse stellte somit eine Verbindung zwischen den Besitzungen der Nachbarschaft (Vicinanza) von Chiggiogna im Bleniotal und in der Leventina her.
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Vom Standpunkt des Handels aus gesehen, schrieb Pater Angelico 1874: "In der Nähe des Landes von Molare ist die Spur einer alten Hauptstrasse noch nicht ganz verschwunden, die an den Warentransit erinnert, den die von Molare und die der Traversa oder Rossura, Chigiogna und Calonico (lies, Vicinanza von Chiggiogna) pflegten mit Pferden oder Eseln nach Crualia oder Cruera (pagus Churvalaha) in den Graubünden zu gehen, um Salz oder andere Vorräte zu besorgen, sowie die Alpen zu beladen, die die Nachbarschaftsverband (Degagna) della Traversa und Molare selbst in dieser Region besassen; ... ". Cruera, Crualia oder Cruara (siehe Karte) erreichte man, indem man zunächst das Bleniotal durchquerte, die Bassa di Nara überquerte und dann durch den Lukmanier das Medelser Tal durchquerte, welches nach Disentis hinunterführte. Dario Petrini zitiert die den Blenio-Dialekten gewidmeten Bände von Mario Vicari ("Valle di Blenio") und erwähnt Crüara und Cruara. Seiner Meinung nach leitet sich der Begriff von Churwalha ab, einer Zusammensetzung aus Chur (Chur) und Wal(a)ha, d.h. dem Gebiet der Walh, einem althochdeutschen Wort zur Bezeichnung derjenigen, die ein neulateinisches Idiom sprachen. In diesem Fall das Romanische, das einst auch in der Region Chur gesprochen wurde.
In seinem Buch erwähnte Pater Angelico die Korrespondenz zwischen der Diözese Mailand und der Pfarrei von Biasca, in der er sich über die Widerspenstigkeit eines Priesters, Agostino Canonico, beklagte, der Handel trieb, was dem Klerus damals verboten war. ".... Ha poca scientia, seguito mercanzia, per barattar cavalli va, viene da Cruala,...".
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Es lässt sich nicht feststellen, wann die Nara-Strasse eröffnet wurde, aber es wird angenommen, dass die Römer sie bereits kannten und entweder den Lukmanier oder den Gotthard, über die Bassa di Nara überquerten. Es wird auch angenommen, dass erst nach dem Bau der Biaschina-Brücke das Problem der Einfahrt in die Leventina gelöst wurde und die Nara-Strasse damit an Interesse verlor, aber eine lokale Funktion behielt. Heute sind nur noch wenige Abschnitte des Saumweges erhalten, die im Inventar der historischen Verkehrswege der Schweiz (IVS) beschrieben sind:
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Der Nara-Saumpfad: Biasca - Prugiasco - Bassa di Nara - Molare - Campello - Osco - Madrano/Airolo:
Von: 1) Le strutture ed il quotidiano: Chiggiogna, storia di un comune rurale dal basso Medioevo alla nascita del Patriziato, Fabrizio Viscontini, 2003; 2) Disgrazie nel Ticino nel 1584, Bollettino Storico della Svizzera Italiana, 1894, p 64; 3) I Leponti ossia memorie storiche leventinesi, Vol 1, Padre Angelico a cura di Cattaneo, 1990. 4) Blenio e Leventina. Da Barbarossa a Enrico VII, Bellinzona, Karl Meyer. 5) Valle di Blenio, Vol I, Mario Vicari, 1992; 6) Inventario delle vie di comunicazione storiche della Svizzera IVS TI 5, TI 4.