Geschichte und Archäologie in Calonico - Campiroi
Calonico ist eine ehemalige Gemeinde des Kantons Tessin, Bezirk Leventina und seit 2006 Teil der Gemeinde Faido. In 1227 hiess das Dorf «Callonego», in 1316 «Calonego», in 1341 «Calonicho» und das erste Mal «Calonico» in 1459.
Calonico wurde das erste Mal in der Teilungsurkunde der Leventina-Alpen vom 23 Mai 1227 erwähnt, in welcher sich alle Nachbarschaften («Vicinanze») über die Aufteilung der Weiden dafür geeignet hatten. Die «Vicinanza» war ein Verband mit wirtschaftlichem Charakter, der seinen Mitgliedern Nutzungsrechte an den Gemeindegütern zusprach. In ihren Kompetenzen lag die Eintreibung der Steuern, Verwaltung der Alpweiden und der Wälder, der Saumrechte sowie der Unterhalt der Strassen. Das Leventinatal war in 1441 in 8 «Vicinanza» unterteilt, die weiter in «Degagna» (Nachbarschaftsverband, als Unterabteilung der «Vicinanza») und in Dorfgemeinschaften («Vicinato») unterteilt waren. Die «Degagna» von Calonico war Teil der Nachbarschaft von Chiggiogna, die in 1347 auch die «Degagna» von Molare, Rossura, «De Plano» (Chiggiogna selbst) und Prugiasco in Val Blenio umfasste. Die Dorfgemeinden, wie wir sie heute kennen, sind nur im 1798 entstanden. Ab 1798 wurde auch das Aequivalent für «Degagna», nämlich «Patriziato», eingeführt.
Bevor Uri und Obwalden das Leventinatal im Jahr 1403 besetzten, gehörte das Tal dem Mailänder Domkapitel an. Mit der Niederlage von Arbedo in 1422, ging das Tal an Mailand zurück, bis Uri es im 1439 rückeroberte. Mit dem Sieg in Giornico im Jahre 1478, wo die Anwesenheit der Leventiner massgebend war, konnte Uri ihre Vorherrschaft auf das Tal befestigen. Uri hielt das Tal bis zur französischen Besetzung im Jahre 1798, als das Leventinatal anschliessend dem Kanton Bellinzona zugeteilt wurde. In 1803 war dann das Leventinatal Teil des Kantons Tessin.
Von: 1) Materiali e Documenti Ticinesi (MDT) 2) Dizionario Storico della Svizzera (DSS) 3) Le strutture ed il quotidiano, Chiggiogna (Viscontini) 4) Blenio e Leventina (K. Meyer)
Maiensäss und Dreistufenwirtschaft
Campiroi auf 1311 m ü.M. war eines der Maiensässe (auf Italienisch «Monti») von der Gemeinde Calonico (960 m ü. M.). Das Wort «Maiensäss» stammt vom Monat Mai ab, in welchem man das Vieh zum ersten Mal in höheren Lagen auftrieb. Als Maiensäss wird eine Fläche mit Wiesen und Hütten auf 1200 - 1600 m ü.M. verstanden, wo die Bauern Übernachtungsmöglichkeiten hatten.
Die Maiensässe sind Teil einer Dreistufenwirtschaft, die aus 1) Heimgut im Tal/Dorf, 2) Maiensäss und 3) Alp auf 1600 – 2000 m ü.M besteht. Die Bauern zogen mit ihrem Vieh dorthin, wo es Futter gab. Das heisst, sie wechselten mehrmals jährlich von einem Stall zum anderen.
In Calonico wurde das Vieh im Winter in den Ställen um das Dorf untergebracht, in welchen Futtervorrat für den Winter im vorherigen Sommer eingelagert wurde. Im Mai / Juni liess man das Vieh auf den Wiesen rund um das Dorf oder auf naheliegenden Maiensässe weiden und danach zog man auf die Alp bis im September.
Im Juli und August wurden die Wiesen des Dorfes und der Maisensässe geheut. Das Heu wurde jeweils in den naheliegenden Ställen eingelagert. Wenn das Vieh im September von der Alp zurückkam, wurde es erst auf den Weiden der Maiensässe wie Campiroi erstmals gebracht, um es dann im Dorf überwintern zu lassen.
Die Alp «Chiera» (2020 m ü.M.) von Calonico und Lavorgo: Auszug aus der Dokumentation des Patriziato von Calonico, Chiggiogna und Quinto vom 1227 bis 1589.
Die Alp Chiera wurde von der Vicinanza von Chiggiogna am 1 Juli 1227 vom Begünstigten / Präbendare der Kirche von San Pietro von Quinto abgekauft. In 1229 innerhalb der Vicinanza von Chiggiogna wurden die Alpen an die verschiedenen Vicinati verteilt: Stuollo, Chiera, Crastumo, Nara, Vallegia und Cavana im Bedretto Tal. Calonico wurde erstmals in Verbindung mit der Alp Chiera zusammen mit Lavorgo am 6 Januar 1323 erwähnt, als die beiden Vicinati die Alprechte der Frauen definierten:
- Die weibliche Erbin von Calonico und Lavorgo, die heiratet und das Haus ihres Vaters verlässt, verliert ihr Alprecht in Chiera
- Die weibliche Erbin, die heiratet und im Haus ihres Vaters bleibt, hat das Recht auf die Alp, solange sie dort lebt und ihre übliche Arbeit verrichtet.
- Eine Frau, die einen Ausländer heiratet und ihn in ihr Haus holt, behält ihre Alprechte wie jeder andere Vicino, solange sie im Haus ihres Vaters bleibt; verlässt sie das Haus ihres Vaters, verliert sie ihre Rechte an der Chiera-Alp
- Wer seinen Besitz verlässt, wird seiner Alprechte beraubt
Die Geschichte der Alp Chiera war eine Geschichte der Streitereien zwischen Calonico-Lavorgo auf einer Seite und Ambri-Varenzo (unterhalb der Alp Chiera), auf der anderen Seite.
Die Vicini (Einwohner) von Ambri-Varenzo wollten ihr Vieh auch im Sommer zwischen San Pietro (29 Juni) und San Bartolomeo (24 August) auf der Alp weiden lassen, auch wenn die Alp an Calonico und Lavorgo zugesprochen wurde. Die Rechte von Calonico-Lavorgo wurden aber immer wieder entweder vom Mailänder Podestà/Vikar (Aug 1341) oder vom Consiglio Generale di Leventina (Juli 1344) bestätigt.
Es sah aber so aus, als wären die Entscheidungen der Leventinerbehörden nicht (immer) befolgt, wie die Beschwerden vom Juli 1345 und Juli-Sep 1347 zeigen. In der Tat weidete Quinto trotz allem mit ihrem Vieh auf der Alp Chiera. Um Klarheit zu schaffen, kam man in Sep 1419 auf die Idee, die Grenzen der Alp zu definieren und gleichzeitig einen Kompromiss einzugehen. Trotz des Kompromisses mussten der Vikar oder Schiedsrichter mehrmals im Okt 1443, Sep 1450 und Nov 1495 bestätigen, dass die definierten Grenzen immer noch gültig waren und auch für das Kleinvieh galten. Das letzte Dokument über die Alp Chiera ist vom Juli 1589 wo Calonico und Ambri-Varenzo ein Abkommen unterschreiben: Calonico kann ihr Vieh 4 Tage vor und 5 Tage nach den üblichen Termine (siehe oben) weiden lassen, in Gegenzug erhält Ambri ein Stück Land, das vorher mit Calonico geteilt war, für Ihren alleinigen Nutzen. Eine Geschichte über 362 Jahre, die darstellt, wie früher die Ressourcen sehr limitiert waren und wie wichtig eine sinnvolle Verteilung derselben war.
Von: 1) Materiali e Documenti Ticinesi (MDT) 2) Registro delle documentazioni, Archivio Patriziato di Calonico (Rascher)
Im Sommer 2002 hat die Abteilung für Ur- und Frühgeschichte der Universität Zürich eine Grabkampagne in der Region «Castello» gestartet, nachdem sie eine Meldung über eine Grabanlage (Steinkistengrab) erhalten hatte. Von 2003 bis 2005 wurden weitere Grabungen auf Parzelle 378 durchgeführt, wo Ton und Lavez (= Speckstein)-scherben gefunden wurden.
Die Funde in Calonico reichen zurück bis zum Neolithikum (In der Schweiz zwischen 5400 und 2200 v.Chr.): ein Serpintinitbeil wurde in den 1930 Jahren gefunden und Geräte aus Bergkristall und Radiolarit wurden während der Grabungen in den Jahren um 2000 beim «Castello» ans Licht gebracht. Calonico als Siedlungsstandort war möglicherweise schon im 10. bis 13. Jahrhundert gewählt worden, wie die C14 Datierungen der Knochen im Steinkistengrab ergaben. Die gefundenen Knochen gehörten zu mindestens 4 verschiedenen Individuen. Einige Knochen wiesen auf Erwachsene hin. Das Alter eines Individuums wurde anhand der Nahtabschnitte des Schädels zwischen 23-40 Jahre geschätzt. Ein anderes hatte pathologisch veränderte Hüftgelenke und war bereits über 40 Jahre alt und vermutlich wurde auch noch ein weibliches Individuum dort bestattet.
Auf der Parzelle 378 wurden Reste von Keramik aus dem 1. Jh. n.Chr. («Terra Sigillata») gefunden. Der Hauptbestandteil der Scherben konnte einem Zeithorizont zugeordnet werden, der sich von der ausgehenden Spätantike (284 – 486 n.Chr.) bis in das frühe Mittelalter (6. Jh. n. Chr. bis ca. 1050 n.Chr.) erstreckt.